Protokoll einer JHV/Weihnachtsfeier
Wie die Hochzeit in einem Königshaus oder die Eröffnung Olympischer Spiele, so ist auch die Weihnachtsfeier der BSG Roisdorfer Quellen ein fest durchgeplantes Ereignis. Vielleicht nicht so perfekt durchchoreographiert wie von André Heller höchstpersönlich, aber ein Großteil der Abläufe und Ereignisse trifft jedes Jahr pünktlich ein. Maximale Abweichung von wenigen Minuten!
(Für neue Mitglieder -> SPOILERALARM!!!)
Der Prolog - Vorbereitung der Jahreshauptversammlung
17:30h
Beginn der Jahreshauptversammlung ist um 18h. Trotzdem sind schon die ersten Mitglieder im Kaminzimmer des Landgasthauses zur gemütlichen Ecke. Ein Teil hat im Vorfeld Aufgaben erhalten (zum Beispiel der Aufbau der Musikanlage) und kommt diesen nach. Der andere Teil will einfach nur die besten Sitzplätze abgreifen und sich schon vorab an kommenden Leid ergötzen. Neumodisch Katastrophentouristen geschimpft. Vom Vorstandsvorsitzenden ist weit und breit nichts zu sehen... obwohl er im Aufbau involviert sein sollte.
17:45h
Die Kassenprüfer sind wie bestellt eine Viertelstunde vor Beginn erschienen. Leider fehlt vom Kassenbericht jegliche Spur. Richtig, den sollte ja der Vorstandsvorsitzende mitbringen.
17:47h
Der Vorstandsvorsitzende betritt mit zwei großen, blauen IKEA-Tüten den Raum, begleitet von höhnischem Gelächter der bereits Anwesenden. Dieses klingt jedes Jahr gleich, man könnte meinen, es käme aus der perfekt aufgebauten Musikanlage. Der Kassenbericht wird den Kassenprüfern umgehend zur Verfügung gestellt.
17:50h
Die Kassenprüfer suchen eilig raus, ob sie selbst den Mitgliedsbeitrag für das abgelaufene Jahr bezahlt haben. Nächster Schritt: Schauen, wer von den anderen noch nicht bezahlt hat. Jede Aufgabe muss auch ihre Vorteile haben.
17:53h
Von den bereits anwesenden Mitgliedern werden seit Minuten in regelmäßigen Abständen die immer gleichen Fragen gestellt: Spielen wir heute Bingo? Was kann man gewinnen? Kommt der XY? Was gibt es zu essen? Wann gibt es zu essen? Kaufen wir vom Verein aus Aufwärmshirts?
Der Präses nutzt das einzig probate Mittel in dieser Situation: Die Nachfrage, wer dieses Jahr Protokoll schreibt. Stille im Raum, Blicke gehen Richtung Boden.
17:55h
Damit die Stimmung nicht auf Beerdigungsniveau sinkt, bringt eine Servicekraft das erste Kölsch Fass rein. Strahlende Kinderaugen im Klassenzimmer.
Kapitel 1 - Die Jahreshauptversammlung
18:00h
Eigentlich sollte die Jahreshauptversammlung jetzt beginnen. Diverse Ereignisse haben dies mal wieder verhindert. Die Kassenprüfung ist in den letzten Zügen. Einen freiwilligen Protokollanten gibt es noch nicht. Dafür wird gebetsmühlenartig aufgezählt, wer wann wo schon mal Protokoll geführt hat oder auf Grund besonderer Verdienste für den Verein nicht in Frage kommen darf. Christiana Ronaldo und Zlatan Imbrahimovic wären stolz vor so viel Egoismus.
18:05h
Die Kassenprüfung ist abgeschlossen. Beim Protokollanten hat man einstimmig eine Lösung gefunden: Entweder der Letzte der kommt (Anmerkung: Vorstandsvorsitzende dürfen kein Protokoll führen) oder das neuste Vereinsmitglied. Zufriedenheit macht sich im Raum breit, Bäuche werden gerieben. Lautstarke Nachfrage, was es beim Bingo für Gewinne gibt.
18:07h
Es fehlen noch Mitglieder, die sich vorher angemeldet haben. Damit sich die ganze Veranstaltung nicht wie "Wetten Dass" ewig in die Länge zieht, wird eine Frist gesetzt. Der nächste Nachzügler wird Protokollant, Basta!
18:09h
Ein verspätetes Mitglied betritt den Raum, Gelächter und tobender Beifall erzeugen eine extrem unangenehme Situation für den Delinquenten, der noch nichts von seinem Glück weiß. Ein Auswärtsspiel in Istanbul oder Athen ist für jeden Fußballer angenehmer. Habemus Protokollant!
18:10h
Verdammt, nix ist! Das von Gott auserwählte Menschenopfer ist der letztjährige Protokollant und somit raus aus dem Rennen. Stille und betroffene Blicke.
18:15h
Unfassbar, jemand meldet sich freiwillig! Schnell werden von allen Seiten Stifte und Papier gereicht. Die Jahreshauptversammlung geht mit viertelstündiger Verspätung los. Für den Vorstandsvorsitzenden, passionierter Bahnfahrer, eine gewohnte Situation. Er richtet sich kurz sein Anzug-Shirt und verliest nach der Begrüßung die Tagesordnung.
18:18h
Geschäftsbericht der abgelaufenen Saison. Alles Tutti soweit, für unsere Verhältnisse eigentlich sogar noch drüber! Der obligatorische Vorschlag eines Mitglieds, doch lieber im Kleinfeld anzutreten, wird allseits gekonnt ignoriert.
19:02h
Der geprüfte Kassenbericht wird vorgelegt. Positive Bilanz, dennoch wird an die Zahlungsmoral appelliert. Der Seitenhieb, dass ein Teil der Feier durch Mahnbeträge finanziert wird, darf natürlich nicht fehlen.
19:05h
Die erste Spielerfrau betritt den Raum. Sie wird durch hektische Armbewegungen und ein schroffes "Raus!" vom eigenen Freund des Saales verwiesen. Einige Mitglieder nutzen die aufkommende Verwirrung für einen Check ihres Smartphones. Immer noch 0:0 im Topspiel zwischen Hoffenheim und Wolfsburg.
19:10h
Ein paar Blasen sind randvoll mit obergärigem Hopfensaft, der Trupp macht sich deshalb auf zu den Pissoirs. Die Raucher nehmen dies als Möglichkeit, ein paar tiefe Züge frische Luft zunehmen. Unterbrechung der JHV auf unbestimmte Zeit.
19:20h
Entlastung des Vorstandes. Seit Jahren hat sich folgendes Frageschema des Versammlungsleiters etabliert: "Hand heben, wer dagegen ist? Enthaltungen? Einstimmig angenommen!". Im Nixtun sind wir eine Macht.
19:25h
Anträge zur Versammlung gibt es nicht, es folgen die freien Wortmeldungen. Mannschaftstour, Heimplatz und Vereinsbedarf. Die Klassiker, an denen man ewig diskutieren könnte. Da die Zeit drängt, will man das später an anderer Stelle klären, vielleicht einfach nächstes Jahr auf der Jahreshauptversammlung.
20:00h
Der Chef der gemütlichen Ecke höchstpersönlich beendet mit den Spielerfrauen im Schlepptau die Jahreshauptversammlung. Das Essen wäre dann gleich soweit. Der Protokollant erhält zur Erstellung des Protokolls die Kritzelzettel vom Vorstandsvorsitzenden und wird diese, inklusive seiner eigenen, bis Dezember nicht mehr anrühren.
Kapitel 2 - Die Weihnachtsfeier
20:05h
Die Damen haben Platz genommen, an einem separaten Tisch. Ja, bei den Roisdorfer Quellen läuft es ab wie bei einer Unterstufenparty zwischen CoJoBo (Jungenschule) und Ursulinen (Mädchenschule). Man sitzt feinsäuberlich getrennt drei Stunden in seiner Geschlechterecke, wirft heimlich immer wieder verschmitzte Blicke rüber. Gegen Halbzeit geht der Klassenchecker mit drei Fanta im Blut mutig rüber. Und kurz bevor man selber nachziehen will, wird man von Mama abgeholt. Die gute alte Zeit!
20:15h
Das Buffet wird vom Präses feierlich eröffnet. Ein Großteil der unnützen Worte wird vom Lärm der Kartoffelgratinkelle übertrumpft, die ersten haben sich schon die Teller beladen. Bei einer Fußballmannschaft gilt die goldene Regel: Vorspeise nimmt nur unnötig Platz weg. Außerdem will man den Damen nicht den Salat streitig machen. Es kommt somit zu einer Warteschlange bei den Hauptgerichten, die Phantasialand ähnliche Dimensionen annimmt.
20:25h
Schmatzgeräusche dringen aus dem Kaminzimmer, es wird eifrig geschaufelt. Das Kauen wird maximal zum abfeiern des vollsten Tellers eingestellt. Die Damen bereuen schon jetzt ihre Zusage zur Weihnachtsfeier.
20:33h
Zweite Runde am Buffet. Ein Spieler hat sich doch tatsächlich am Vorspeisentablett vergangen, ist dabei aber chirurgisch wie ein Traktor beim Pflügen eines gefrorenen Ackers vorgegangen. Tomate, Mozzarella und Balsamico bilden eine relativ homogene Masse. Auch am Löffel für die Schinken-Spargel-Röllchen klebt die Masse. Für die Damen ist die Vorspeise damit offiziell beendet.
20:45h
Bei den Roisdorfer Quellen gibt es zwei Sorten von Menschen: Die Trinker und die Fresser. Es gibt da auch so paar Hybride, aber das ist eine andere Geschichte. Für die Fresser beginnt nun der große Auftritt. Der dritte Hauptspeisenteller überzeugt bei einigen Spielern durch eine überragende Stapeltechnik. Abwechselnde Schichten von Schnitzel und Bratenstücken haben sich als die perfekte Kombination herausgestellt, abgekittet durch etwas Kartoffelgratin. Turmbau zu Babel des kleinen Mannes, auch wir werden nachher in unterschiedlichen Sprachen lallen.
Bei der Menge des verzehrten Essens könnte man meinen, der ein oder andere begibt sich am Tag nach der Weihnachtsfeier in einen dreimonatigen Winterschlaf und sammelt deshalb noch einmal ordentlich zusätzliche Fettreserven an.
20:55h
Die meisten Teller sind spülmaschinenrein hinterlassen. Zungen und Gürtelschnallen schnalzen. Ein Hosenknopf schießt durch den Raum, genau wie bei "Das Boot" die Nieten bei zu starkem Druck. Ein Schlaufuchs deponiert einen vollen Teller hinter der Spanischen Wand am Buffet, für später.
21:00h
Der Nachtisch wird serviert. Nicht wenige bereuen jetzt ihre Völlerei der letzten Dreiviertelstunde. Die Damen können sich ein hämisches Lachen nicht verkneifen.
21:08h
Erste Vermengungen zwischen den Geschlechtern. Die Damen haben unsere Bewegungsunfähigkeit auf Grund der übersättigten Bäuche frech ausgenutzt. Sollte der Zustand irgendwann wieder weichen, muss die Situation umgehend korrigiert werden! Über was soll man denn blos mit so einer Frau reden?! Unangenehmer Augenblick.
21:35h
Die Musik wechselt von Chart Hits zu vertrauten Tönen, es wird rockiger. Die ersten Grüppchen fordern Bingo. Ok, eigentlich ist es nur eine Person. Wie jedes Jahr hat sie den eisernen Willen, den Hauptgewinn abzugreifen. Es wäre eine Premiere! Die Taktik bleibt gleich: Viele Bingolose kaufen. Der Präses muss ihn leider noch etwas vertrösten, er kommt aktuell nicht mehr von seinem Stuhl hoch.
Kapitel 3 - Bingo
21:42h
Auf einmal schallt wieder seltsame Musik aus den Boxen. Es läuft "1980-f" von After the Fire, Titelmelodie von "Na sowas! ", einer Fernsehsendung aus den 80er mit Thomas Gottschalk. Hätte ich persönlich nicht gewusst, das Wissen musste ich mir spontan bei Wikipedia anlesen. Und hab es auch unverzüglich wieder verdrängt, Ha!
Egal, wenn dieses Stück läuft freut sich ein Großteil der Anwesenden, ein anderer bereut den Tag seiner Geburt. Denn während des Liedes werden die Bingolose verkauft. Und da bei den Roisdorfer Quellen alle etwas langsamer sind (der Fisch stinkt vom Kopf), muss das Lied in Endlosschleife laufen, bis auch wirklich jeder seine Lose hat. Das kommt dann schon einer chinesischen Wasserfolter nahe.
21:59h
Nach sechs Titelwiederholungen sind alle mit Bingolosen versorgt. Eine Person hat mit einem 20€-Schein bezahlt, ohne Wechselgeld! Der Rest ist freudig die im Jahr 2017 gesammelten Geldmünzen losgeworden. In Zeiten, in denen Münzeinzahlungen bei Banken mit einer Gebühr versehen werden, kein schlechter Schachzug. Der Kassenbeutel hat das Volumen eines Teenager-Skrotums angenommen, der eine Woche auf Klassenfahrt war. Ohne Wechselsocken!
22:05h
Meister der Bingozeromonie ist der Präses, irgendeinen Vorteil muss das Amt ja haben. Beim Öffnen des Kartons, in dem die Bingomaschine ihr trostloses Dasein fristet, entweichen die Ausdünstungen der letztjährigen Weihnachtsfeier. Ein Mischung aus Schweiß, Bier und viel heißer Luft. Herrlich!
Doch der Bingovorsitzende kann sich nur kurz an diesem Parfüm berauschen, umgehend wird ihm klar, dass er den Karton ein Jahr nicht mehr angerührt hat. Die geplante Kontrolle, ob noch alle Teile vorhanden sind, wurde mal wieder vergessen.
22:07h
Glück gehabt, die Bingomaschine inklusive Kugeln ist vollzählig. Nächstes Jahr wird vorher kontrolliert, gaaaanz sicher! Zum vollendeten Bingogenuss fehlen nun nur noch Kugelschreiber zum Abhaken der genannten Zahlen. Zwei Möglichkeiten: Entweder hat keiner einen Kuli dabei, obwohl es in der Einladung stand. Oder der Bingovorsitzende bringt sämtliche Kulis seit seiner Einschulung mit und jeder Gast hat mindestens drei Kulis selbst mitgebracht.
22:10h
Kurze Nachfrage, ob man beginnen kann. Die diversen erwiderten Beleidigungen werden als ja interpretiert. Die Musik wechselt schlagartig in eine Mischung aus Easy Listening, Trompeten-Pop und Aufzugmusik. Es läuft eine seit jeher bewährte und fest definierte Playlist, die vor etlichen Jahren einem edlen Swingerclub für Rentner abgekauft wurde. Für einen symbolischen Bademantel.
22:11h
In die Trompete von James Last dringt ein ohrenbetäubendes Rattern, die Bingomaschine ist gestartet. Der Bingovorsitzende dreht zuerst gekonnt in die falsche Richtung, um eine penible Vermischung der Kugeln zu garantieren. In einer ruckartigen Bewegung wird die kleine Kurbel der Bingomaschine in die andere Richtung gelenkt. Die erste Kugel verlässt den Plastikkäfig, der äußerst schäbig auf Metall gemacht ist. Made in China, kannst'e mittlerweile auch nicht mehr gebrauchen. Im Gegensatz zum Eurovision Songcontest wird die Zahl nur in Deutsch vergetragen, der Bingovorsitzende verfügt über einen überschaubaren Fremdsprachenwortschatz. Seit Jahren plant er genau für diesen Anlass einen Spickzettel.
22:20h
Die ersten Kugeln/Zahlen werden schnell gezogen, da am Anfang wenig passieren kann. Für Bingointeressierte: Wir spielen in der 15 aus 90 Bingovarianate, pro vollständiger Bingokarte gibt es einen Gewinn. Die Bingokarten, jeweils sechs Karten pro Block, haben eine Grammatur von 60 g/m² und sind in Betongrau gehalten. Beschreibar ab einer Bleistiftstärke von H2, mittlere Anspitzung. Die Bingomaschine hat eine Grundfläche von 30cmx23cm bei einer Gesamthöhe von 18cm. Der Aufbau ist durch eine fachkundige Person in weniger als fünf Minuten möglich. Neulinge sollten sich eine Einweisung bei örtlichen Schaustellern holen, einfach mal nachts ab 1h freundlich am Wohnwagen rütteln! Da bei der Bekurbulung der Bingomaschine die Möglichkeit von Querschlägern besteht, sollte ständig ein Augenschutz getragen werden. Ansonsten ist das Ganze eigentlich Pillepalle.
22:33h
Es wird die 15. Kugel gezogen, es könnte somit einen Gewinner geben. Gibt es natürlich nicht, selbst bei Glücksspielen sind wir nicht die Begabtesten.
22:37h
Die Bingoplaylist geht in die erste Wiederholung, auch sie wird natürlich in Endlosschleife abgespielt. Never change a winning system!
22:40h
Bei jeder gezogenen Zahl geht ein Raunen durch den Raum. Es riecht nach Schweiß, verdammtes Rauchverbot!
22:44h
Ein paar Leute geben durch, wie viele Zahlen sie noch offen haben. Manche sogar, welche Zahlen es genau sind, mit der Hoffnung, dass sie so schneller gezogen werden. Andere ziehen ein Pokerface auf und versuchen möglichst wenig Informationen preis zugeben. Das Wort Glücksspiel ist vielen kein Begriff. Aber vielleicht macht das auch den besonderen Reiz an Bingo aus.
22:52h
Die 47. Kugel wurde gezogen, immer noch kein Gewinner. Die Stimmung ist aber mittlerweile sehr unentspannt. Jeder gönnt sich den Sieg selbst am meisten, der Bingovorsitzende wird zur Persona non Grata.
22:54h
Extrem hitzige Situation: Der Bingovorsitzende hat "Sechs" gesagt, korrigiert seine Aussage aber umgehend in eine "Neun". Leider einen Augenblick zu spät, es gab schon das erste "Bingo" im Saal. Heftige Proteste des vermeintlichen Gewinners, der Bingovorsitzende nimmt erst Mal einen tiefen Schluck Bier. Es stellt sich schnell heraus, dass neben der Sechs auch noch eine weitere Zahl offen war. Alles wieder gut.
23:01h
Die 61. Kugel bringt die Entscheidung. BINGO! Der Gewinner darf unter Grummeln der Anderen die ebenerdige Bühne betreten. Seine Bingokarte wird notariell überprüft. Während der Gewinner mit seinem Hauptgewinn schon längst wieder Platz genommen hat, wird die Auswertung verkündet: Der Schein ist gültig! Vereinzeltes Klatschen des Gewinners ist zu vernehmen.
23:03h
Das Ganze fühlt sich jetzt schon etwas nach einem Spiel um Platz Drei bei der EM an. Als Sportsmänner will man wenigstens noch den Bingoeinsatz durch den zweiten oder dritten Platz kompensieren. Die vierte Wiederholung der Playlist zaubert hier und dort ein leichtes Grinsen ins Gesicht. Genau das gleiche Grinsen, dass man schon für den Glücklichen mit dem Hauptgewinn übrig hatte. Total von Herzen.
23:17h
Der Bingoquatsch ist endlich vorbei. Gewinn Nummer Zwei ging mal wieder an den kniestigen Typen, der sich nur ein Bingolos gegönnt hat. Verdammter Glückspilz! Und wenn das nicht schon Alles schlimm genug wäre, geht der dritte Preis an die Nase mit dem Hauptgewinn. Drecks Bingo, nie wieder! Die Raucher- und Toilettenpause entzerrt das Klima etwas.
Als musikalischer Schnitt läuft standesgemäß das Roisdorfer Quellen Lied, ein Klassiker schlechthin. "Heja Roisdorfer Tiger, ihr seid das größte Wunder hier", geht runter wie Öl! Irgendwann kommt hoffentlich der Tag, an dem dieses zeitlose Meisterwerk einstimmig mitgesungen wird. Aktuell sind ein paar Mitspieler, vor Allem die Neuen, doch etwas irritiert. Die "Roisdorfer Quellen" Version von Duck Sauce "Barbara Streisand" tut ihr Übriges dazu. Kunstbanausen!
23:34h
Was ist das? Ein Rückkehrer aus der Pause hat sich an den Mädelstisch gesetzt. Skandalös, Vermischung der Geschlechter. Umgehend kommt Hohn und Spott vom Herrentisch, nachdem man dort das tiefgründige Gespräch mit dem eigenen Smartphone beendet hat.
23:45h
Der Gemütliche Teil des Abends kann beginnen. Der Tisch der Schande (siehe 23:34h) wird rausgestellt und wahrscheinlich verbrannt, dafür kommen zwei Stehtische dazu. Denn am Stehtisch geht die Party! Es nähert sich die Zeit der Trinker. Gefühlt hat man den ganzen Abend erst so zwei drei Bier getrunken, Bingo kann schon sehr anstrengend sein.
Kapitel 4 - Tanzfläche
Circa 23:55h
Die kommenden Ereignisse können aus Gründen der (An-)teilnahme an der Veranstaltung nur noch bruchstückhaft wiedergegeben werden. Die Erinnerung verschwimmt dann doch etwas, liegt wahrscheinlich an der späten Uhrzeit... von zwanzig Bier.
Circa 00:10h
Der ewige Nachzügler erscheint unter Beifall im Kaminzimmer, die Laune steigt um 100%. Vielleicht auch ein oder zwei Prozent mehr. "Du bist spät dran", "Joah joah, bin aufgehalten worden". Alles klar, er war auf dem Weg zur Bahn noch in paar Kneipen Hallo sagen. Wer samstags Abends arbeiten muss, hat sich das aber auch verdient. Damit ist die Besatzung vollzählig, die MS Roisdorfer Quellen kann in See stechen!
Circa 00:30h
Die erste Titelmelodie eines Spielers läuft. Ja, richtig, mache Spieler haben ihre eigene Titelmelodie. Da wäre zum Beispiel "der Goldene Reiter" von Joachim Witt, "Mr. Jones" von den Counting Crows, "Aloha Heja He" von Achim Reichel oder "Fear of the Dark" von Iron Maiden. Jede mit einer eigens angerichteten Choreographie versehen, peinlicher als eine Mittagstalkshow in den 90ern. Das Schöne daran, den Rest im Raum interessiert es zu dieser frühen Stunde meist einen feuchten Kehricht, wer sich da gerade wie verrenkt. Maximal ein anfeuernder Zeigefinger ist das höchste der Gefühle. Eine Situation, surrealer als Dali.
Circa 01:10h
Zeit für Vereinshymnen. Erst für den Effzeh, dann für den glorreichen BVB. Der Frankfurtfan im Raum verschränkt die Arme und fordert wehement Demut ein. Die Androhung einer Wiederholung des Roisdorfer Quellen Liedes besänftigt ihn.
Circa 01:30h
Der Ausfall des Abends. Ja, einen muss es nun mal treffen. Ob ausgiebiges Pokalsaufen oder ein Tower Pernot-Cola, es gibt verschiedene Ursachen, das Ergebnis bleibt gleich. Das Malheur des Jahres wird am Abends selbst gekonnt totgeschwiegen und erst beim nächsten Training reißerisch aufgearbeitet. Gentlemen par excellence.
Circa 01:50h
Der Trainer hat einen kleinen Zwischenhunger bekommen. Anstatt diesen an der internationalen Käseauswahl zu stillen, bedient er sich am Vorortbuffet, besser bekannt als Blumendeko. Widerlich mahlen die Stumpen in seinem Maul alles klein, von Rose bis Gänseblümchen, es wird zermalmt. Notiz an den Präses: Nie mehr Blumendeko bestellen. So wie schon im Jahr davor, und davor...
Circa 02:20h
Zeit für das obligatorische Mannschaftsfoto. Ein Highlight! ~15 besoffene Personen stehen, nein schwanken nebeneinander und zeigen ihr fiesestes Fotolächeln. Hier und da wird geschmust, einer spannt seinen Winkespeck gekonnt an und ein anderer hat wie immer die Augen zu. Als wenn das nicht schon genug wäre, werden die Spielerfrauen dazu genommen. Es entsteht ein noch viel phantastischeres Bild. Wie ein Wimmelbild ala "Wo ist Walter", überall gibt es etwas zu entdecken. Einer geht noch: Zack, die Servicekraft mit aufs Bild! Und alle freundlich lächeln! Weitere Variantionen ergeben sich spontan.
Circa 02:45h
Es läuft ein wilder Mix aus Onkelz, Rammstein, Alexander Marcus, Rockklassikern, Karnevalsmusik und Deichkind. Gefühlt wieder in einer Endlosschleife. Die Meute trifft sich zum Freistil-Gesellschaftstanz. Die Grenze zwischen Männer und Frauen verläuft nun tanzend. Discofox, Kreisel, Flieger... es wird heftig geschwoft. Fastw irkt es so, als hätten gewisse Kandidaten eine ganze Saison ihren Körper geschont, um nun hier alles aus jeder kleinsten Faser rauszuholen. Der Trainer macht sich kritische Notizen, während er genüsslich ein paar Wildblumen vernascht.
Epilog - Das bittere Ende
Circa 03:00h
Die Getränkepauschale endet, der Stimmung tut das keinen Abbruch. Jeder ist jetzt in unendlicher Spendierlaune. Eilig werden die Deckel zum Kellner geschleudert, er soll nochmal eine Runde tun. Dies wird netterweise gemacht, nicht ohne Hinweis auf das baldige Ende.
Circa 03:20h
Die Hebefigur der letzten Mannschaftstour, die in einem bösen Unfall geendet ist, wird aufgeregt nachgeholt. Man wackelt, man schwankt... und gestanden! Ha, lag also doch an der Örtlichkeit und nicht am Alkohol. Eine Spielerfrau beendet das Gespräch mit dem Notdienst abrupt.
Circa 03:30h
Schwitzende Körper in Extase. Man liegt sich in den Armen, schunkelt zu alten Erinnerungen. Die Onkelz werden laut gegrölt. Von außen betrachtet wirkt es wie der letzte Kampf von Axel Schulz. Auch wir haben die Fackel an.
Circa 03:55h
Der Chefkellner fordert nett, aber bestimmt das Ende. Es läuft Udo Jürgens mit "Tausend Jahre sind ein Tag", Tränen werden vergossen. Zwei Spieler liegen vor Rührung am Boden, seit zehn Minuten. Eigentlich endet jeder Abend in der gemütlichen Ecke mit mit dem Haus und Hof Musikanten Udo Jürgens, aber die Roisdorfer Quellen sind listige Füchse. Zum Abschied wird trotzig noch einmal Reinhard Mey mit "Gute Nacht Freunde" angespielt. Das Lied endet im Windows XP Herrunterfahr-Sound. Feierabend, nix geht mehr. Man darf die Örtlichkeit erhobenen Hauptes durch den Hinterausgang verlassen. Gottseidank ist Winter und kein bekackter Vogel pfeift. Man geht geschafft, aber glücklich nach Hause.
Tschö Sonntag!